Scheinselbstständigkeit im Fokus – Teil 4
Kritische Haltung zur Neuregelung des § 611a BGB
Es gibt zahlreiche Meinungen zum geplanten Gesetzesentwurf des § 611 a BGB. Doch die meisten äußern sich recht kritisch und negativ zu den geplanten Änderungen.
So meinen einige Stimmen, dass der geplante § 611a BGB sogar überflüssig sei. Zudem wird der Dienstvertrag im Grunde genommen abgeschafft, sodass es nur noch die Alternativen Werkvertrag oder Arbeitsvertrag gibt.
Exkurs: Unterschied zwischen Dienstvertrag und Werkvertrag
Entscheidendes Kennzeichen eines Werkvertrags ist die wirtschaftliche Selbstständigkeit des Auftragnehmers, d. h. es besteht kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Die Vergütung richtet sich nach dem Arbeitsergebnis und erfolgt als Stücklohn oder Pauschalhonorar.
Im Gegensatz dazu steht der Dienstvertrag, der bei regelmäßiger Beschäftigung eingesetzt wird. Die Beschäftigung sollte auch nicht an ein bestimmtes Projekt gebunden sein. Darüber hinaus legt der Auftraggeber bei einem Dienstvertrag Zeit, Ort und Inhalt der Arbeit fest.
Der entscheidende Unterschied zwischen beiden Verträgen ist, dass bei einem Werkvertrag der Erfolg des Arbeitsergebnis durch den Auftragnehmer geschuldet ist. Bei einem Dienstvertrag hingegen wird nur die Erbringung einer Leistung vereinbart und vergütet – ein bestimmtes Ergebnis ist aber nicht geschuldet und auch nicht garantiert.
Angewendet auf Promoter würde das heißen, dass Promoter mit einem Dienstvertrag ihre Arbeit zu festen Zeiten an einem bestimmten Arbeitsplatz zu erledigen haben und der Erfolg ihrer Promotionaktionen nicht zwangsläufig eintreten muss.
Es ist also Vorsicht geboten, wie Sie Verträge mit Ihrem Promotion-Personal definieren.
Auch wurden durch den neuen Gesetzesentwurf keine klaren Kriterien entwickelt, die einfach wie eine Checkliste abgefragt werden können. Kriterien für eine Scheinselbstständigkeit werden zwar genannt, aber dennoch wird darauf hingewiesen, dass jeder Fall in der Gesamtbetrachtung zu sehen ist. Somit müsste man im Einzelfall relevante Kriterien bewerten und abwägen, ob Scheinselbstständigkeit vorliegt. Also kann sich kein Arbeitgeber sicher sein, ob nun Selbstständigkeit oder Scheinselbstständigkeit vorliegt.
Nehmen wir zum Beispiel das erste Kriterium: „Für diese Gesamtbetrachtung ist insbesondere maßgeblich, ob jemand nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten oder seinen Arbeitsort zu bestimmen.“
Hier ist es unsicher, wann genau von einer Weisung gesprochen werden kann. Wenn beispielsweise schon Absprachen zwischen Arbeitgeber und Selbstständigem (z. B. Agentur und einem Promoter) bezüglich eines Einsatzortes und der Einsatzzeit als „nicht freie Zeiteinteilung“ verstanden wird, ist es schwierig dieses Kriterium innerhalb der Arbeitsweise in Event- und Promotionbranche einzuhalten, damit keine Scheinselbstständigkeit vorliegt.
Ein anderes Kriterium ist: „Für diese Gesamtbetrachtung ist insbesondere maßgeblich, ob jemand die geschuldete Leistung in Zusammenarbeit mit Personen erbringt, die von einem anderen eingesetzt oder beauftragt sind.“
Zusammenarbeit bedeutet hier, dass man in enger Absprache mit Personen arbeitet, die von einem anderen Auftraggeber beschäftigt werden. Angewendet auf die Promotionbranche könnte hier denkbar sein, dass bereits die Zusammenarbeit bei Aktionen oder gewissen Projekten mit anderen freien Mitarbeitern schon als Indiz zur Scheinselbstständigkeit verstanden werden kann.
Der VGSD, Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland e.V. beispielsweise steht dem geplanten Gesetzesentwurf auch sehr kritisch gegenüber. So heißt es: „Das Gesetz entspricht unseren schlimmsten Erwartungen. Die neuen Kriterien sind unbestimmt. Sie führen zu keiner größeren Rechtssicherheit. Es gibt keine Hinweise zur Gewichtung der Kriterien. Zudem handelt es sich ausschließlich um Negativkriterien, es gibt keine konkreten Kriterien dafür, unter welchen Umständen eine echte Selbstständigkeit vorliegt“ (vgl. http://www.vgsd.de/fragen-und-antworten-zum-gesetzesentwurf-gegen-den-missbrauch-von-werkvertraegen/).
Im Folgenden listen wir noch einige Meinungen auf:
Dr. Benno Grunewald – Freiberuflicher Autor und Rechtsanwalt: „Die neuen geplanten Regelungen zum § 611 a BGB bringen keine Klarheit in die bestehenden rechtlichen Grauzonen der Tätigkeit Selbstständiger und sind rechtlich relativ irrelevant. Es bleiben Fragen über Fragen, die sowohl die rechtliche aber auch tatsächliche Anwendung des geplanten § 611 a BGB betreffen. Was Frau Nahles bereits jetzt erreicht hat, ist eine allgemeine große Verunsicherung Selbstständiger und deren potentieller Auftraggeber. Daran hat meinem Eindruck nach auch die neue Fassung des Gesetzentwurfs nichts geändert.“
Matthias Sziedat – Rechtsanwalt: „Auf den ersten Blick liest sich der neue Gesetzestext logisch, bei näherer Betrachtung fällt zunächst ins Auge, dass ein ziemliches Durcheinander von arbeitsrechtlicher und sozialrechtlicher Prüfungskompetenz entsteht. Ich denke, bis zur geplanten Umsetzung des neuen § 611 a BGB werden unter den Arbeitgeber– und Arbeitnehmervertretern noch hitzige Diskussionen zu erwarten sein. Am Ende wird hoffentlich eine Neufassung herauskommen, die so klar definiert ist, dass sie Arbeitgebern sowie Arbeitnehmern bei der Feststellung des Beschäftigungsstatus tatsächlich keine Fragen mehr offen lässt.“
Daniel Happ – Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Marijke van der Most – Rechtsanwältin: „Ob dieser erste Entwurf tatsächlich am 1. Januar 2017 Gesetz wird, ist offen. Als Ergebnis parlamentarischer Beratungen sind Änderungen durchaus wahrscheinlich. Das Medienecho ist schließlich bereits jetzt enorm und schonungslos. So wird der Entwurf mitunter als „undurchführbar“, „praxisfern“ oder sogar „schwachsinnig“ bezeichnet.“